Hunde leben nur in der Gegenwart ??

alle Fragen zur Hundeerziehung, Körpersprache, Kommunikation
Petra

Re: Hunde leben nur in der Gegenwart ??

Beitrag von Petra » Mi 31. Aug 2011, 18:45

Hallo Freddy,
Lukas unterscheidet auch sehr, wie lange ich weg war.
Unter einer Stunde werde ich kurz begrüßt, ab 2 Stunden ist ein riesiger Tanz angesagt inklusive Geschenkübergabe :herz (Lukas bringt mir ein Geschenk, meist einen Schuh).
LG, Petra und co.

Eddi

Re: Hunde leben nur in der Gegenwart ??

Beitrag von Eddi » Mi 31. Aug 2011, 19:56

Hallo,

das ist ein sehr interessantes Thema. :thumbup:

Ich bin ganz sicher, daß wir alle unglaubliche Beispiele für die Erinnerungsfähigkeit unserer Hunde haben. Ich sehe das wie Ihr; ohne Erinnerungsvermögen könnten wir nicht lernen.
Ob das aber auf einem Zeitstrahl abgespeichert ist, wie bei uns Menschen meistens, das können wir wohl kaum beurteilen. Ich neige auch zu der Annahme von Renate, daß das Zeitgefühl ein anderes ist. Was nicht heißt, daß Hunde nicht exakte Tageszeiten "fühlen". Punkt Fütterungszeit wird auf die nicht vorhandene Armbanduhr geschaut und zunächst der "vorwurfsvolle Blick" aktiviert, 10 min später folgt der "Hungerblick" mit eingezogenen Backen, vorstehenden Rippen und kurz vor Schwächenanfall :dog_wink

Viel spannender, weil nicht so offensichtlich ist sicher die Frage nach dem vorausschauend denken können. Und da spielen bestimmt auch Lernprozesse eine große Rolle.
Es ist vorausschauend denken, wenn Hund weiß, jedesmal wenn die große Tasche im Wohnzimmer steht fahren wir ein Wochenende weg. Dann freut Hund sich schon Donnerstags über die Tasche. Und im Falle des Flugkoffers, der für Hund 2 Wochen Quarantäne bei Oma bedeutet ist er trübselig. Aber das ist frühestens beim zweiten Ereignis dieser Art der Fall. Hier liegt dem Gedanken "ah, am WE fahren wir zusammen was tolles machen" die Erfahrung zugrunde, daß die schwarze Tasche immer mitgeht.
Freddy hat geschrieben:Aber ich denke er z.B. hat keine Angst das mir mal was zustoßen könnte. Das meint man vielleicht damit das Hunde im „Hier und Jetzt“ leben. Und weniger Sorgen haben als wir...
das wäre für mich jetzt auch die Definition vom Leben im hier und jetzt.
Andererseits wissen wir gar nicht, ob die Tiere so etwas haben könnten, die Angst, wir könnten ihnen abhanden kommen. Aber ich befürtche, wenn überhaupt jemals herausgefunden wird, wie tiere deken und ihre Umwelt sehen, wird das lange nach unserer Zeit passieren.

LG
eddi
weiß, daß Zirbel und Else gerade sehr in die Zukunft sehen: ich sehe seinen Napf mit vieeeel Futter, ich sehe ihn auf mich zukommen.... :dog_laugh

Petra

Re: Hunde leben nur in der Gegenwart ??

Beitrag von Petra » Mi 31. Aug 2011, 20:19

Hallo nochmal,

ich will die Sache nochmal verkomplizieren :dog_biggrin !

Einen Unterschied machen zwischen Erlerntem, durch äußere Einflüsse hervorgerufene Erinnerung (Stelle im Wald, wo gestern noch das Reh war), allgemeinem Zeitgefühl (Essenszeit etc.) einerseits und
- sozusagen eigener Erinnerung an Situationen andererseits, die nicht (!) von außen hervorgerufen wurden.
Wie bei uns gestern, deshalb war ich auch so erstaunt.
Lukas erinnert sich natürlich an diverse Personen, Orte, Situationen und reagiert entsprechend. (Das kenne ich, das war immer so.)
Bei uns ist die große Tasche negativ besetzt - es geht dann ins Hallenbad und er darf nicht mit ... - natürlich läuft er angespannt rum und versucht uns zum Bleiben zu überreden.

Gestern gab es aber KEINEN äußeren Auslöser, deshalb fand ich das so bemerkenswert.
Er muss eben doch im Korb gelegen haben und an seine ausgefallene Napfmahlzeit gedacht haben, dann stand er von selbst auf und versuchte nun, unserer Erinnerung auf die Sprünge zu helfen ...

Was meint ihr, ist das ein Unterschied oder sehe ich das Reh vor lauter Bäumen nicht ?? :bunny

LG, Petra und co.

JuRe

Re: Hunde leben nur in der Gegenwart ??

Beitrag von JuRe » Mi 31. Aug 2011, 21:35

Hallo Petra,

ich will mal versuchen mich an Deine Frage, Überlegung heranzutasten:
Ausgangspunkt: Lukas bekommt Mittags die Hauptmahlzeit, abends nichts.
Gestern gab es früher? und an anderer Stelle die Hauptmahlzeit.
Abends fordert er die "ausgefallene" Mahlzeit ein (die ja de facto nicht ausgefallen war.)
Petra hat geschrieben:Einen Unterschied machen zwischen Erlerntem, durch äußere Einflüsse hervorgerufene Erinnerung (Stelle im Wald, wo gestern noch das Reh war),
Petra hat geschrieben:Gestern gab es aber KEINEN äußeren Auslöser, deshalb fand ich das so bemerkenswert.
Er muss eben doch im Korb gelegen haben und an seine ausgefallene Napfmahlzeit gedacht haben, dann stand er von selbst auf und versuchte nun, unserer Erinnerung auf die Sprünge zu helfen ...
Wenn ich das richtig verstehe besteht für Dich der Unterschied darin, daß Lukas sich an das Reh erinnert, weil er an der Stelle vorbeikommt, wo das Reh stand (äußere Auslöser)
aber im Korb liegen und an ausgefallene Mahlzeit denken hat keinen äußeren sondern einen inneren Auslöser
Da komme ich auf noch ganz andere Ideen neben "Zeitgefühl"

Meine Überlegung ginge dann schon eher in Richtung "Motivation" : extrinsisch oder intrinsisch motiviert, ist aber noch sehr vage meine Idee.

Fressen ist ja in jedem Fall starker Antrieb und vielleicht gibts da ja tatsächlich so was wie eine Verknüpfung von innerem Antrieb und Erinnerung (Zeitgefühl) Interessante Überlegung.
Bin aber nicht informiert über ev. Forschungsergebnisse diesbezüglich. Hab mir ja das Buch von Ádám Miklósi zugelegt, (Tip von Lutz) aber ich komme z.Z. überhaupt nicht zum Lesen; vielleicht finde ich später was dazu. Für heut Abend ist mir das zu spät um mich einzulesen. Vielleicht wissen ja andere mehr?


LG Renate

Rover

Re: Hunde leben nur in der Gegenwart ??

Beitrag von Rover » Do 1. Sep 2011, 07:07

Hallo Zusammen,

das ist ja wieder eine interessante Frage.

All die "Erinnerungen" kenne ich von meinen, speziell von Rover auch: hier lag doch gestern ein halbes Brötchen, von dem Du mich weggezerrt hast (Ihr glaubt nicht, wie viele er auf die Art und Weise später oder am nächsten Tag noch erwischt - er weiß es noch genau, ich hab es vergessen).
Das bringt mich auf folgende Idee:
Für Hunde ist der Erlebnisbereich doch deutlich "kleiner", eingeschränkter als für uns. Nummer eins: Fressen, dann vielleicht in ungeordneter Reihenfolge: spielen, Feinde jagen, laufen, schmusen... noch was? Da ist schon bald Schluss. Während wir an hundert Dinge denken (müssen) und deswegen das herumliegende Brötchen über all den anderen Sachen längst wieder vergessen haben.

Und gerade Fressen ist definitiv sowohl mit bestimmten Ritualen verknüpft (immer, wenn wir abends vom Sapziergang heimkommen, gibt es Futter) als auch mit gewissen Tageszeiten (so gegen 6 gibt es Abendbrot).
Wir merken das genau an den unterschiedlichen Wochentagen: In der Woche geht es abends nochmal zu einer längeren Runde raus, und wenn wir da wieder heimkommen, gibt es auch gleich Abendbrot. Aber Dalli! Das weiß Rover und fordert es notfalls auch energisch ein.
Am Wochenende findet der Spaziergang gewöhnlich früher statt, wir sind z.B. schon um 4 wieder zu Hause. Dann versucht er zuerst, anhand des Rituals zu Abendbrot zu kommen. Wenn das nicht klappt, legt er sich eben hin und schläft. Dann erscheint er aber allerspätestens um 6 und erinnert energisch daran, dass es jetzt aber Pronto was zu fressen zu geben hat. Natürlich hat er da auch Hunger - aber den hat er ja sowieso immer... und ob oder wieviel er vorher auf anderem Weg bekommen hat, ist ihm in dem Moment egal.
Übrigens hat er auch schon versucht, beides zu verknüpfen: zuerst Fressen, wenn man vom Spaziergang heimkommt, und dann möglichst nochmal, wenn die Zeit ran oder überschritten ist. Das ist offensichtlich keine Frage des Füllstandes.

Und was die Verlustangst angeht: ich interpretiere das schon so, wenn Molly jedesmal, wenn ich aufstehe (auch, wenn ich nur vom Tisch zum Schrank gehe!) aufspringt und mir hinterherläuft. Oder hat sie da nur Angst, was zu verpassen? Dieses Verhalten kenne ich von Rover nicht. Und sie hat ja schonmal ein Rudel "verloren", könnte es sein, dass sie das noch weiß und sich deswegen anders verhält? Jetzt haben wir sie ein knappes Vierteljahr, und gaaanz langsam wird das mit der Hinterherrennerei besser - das deutet doch schon darauf hin, dass sie merkt, dass ich nicht verschwinde?
Viele Grüße,
Kerstin

redchili

Re: Hunde leben nur in der Gegenwart ??

Beitrag von redchili » Do 1. Sep 2011, 07:35

Moin Kerstin,
Rover hat geschrieben:Das ist offensichtlich keine Frage des Füllstandes.
happy_02 happy_02 Nein, aus Prinzip nicht. Danke für den Lacher am Morgen :dog_biggrin
Rover hat geschrieben:Und was die Verlustangst angeht: ich interpretiere das schon so, wenn Molly jedesmal, wenn ich aufstehe (auch, wenn ich nur vom Tisch zum Schrank gehe!) aufspringt und mir hinterherläuft. Oder hat sie da nur Angst, was zu verpassen? Dieses Verhalten kenne ich von Rover nicht. Und sie hat ja schonmal ein Rudel "verloren", könnte es sein, dass sie das noch weiß und sich deswegen anders verhält? Jetzt haben wir sie ein knappes Vierteljahr, und gaaanz langsam wird das mit der Hinterherrennerei besser - das deutet doch schon darauf hin, dass sie merkt, dass ich nicht verschwinde?
Bei meinem Tierheimdale Axel war das ähnlich. Nach nur zwei Tagen bei mir und meinem Ex klebte er an uns wie eine Klette. Vor allem, wenn wir woanders waren und einer von uns beiden mal nur in ein anderes Zimmer gegangen ist, wollte er sofort hinterher bzw. wurde erst wieder ruhig, wenn der andere auch wieder da war. Wie lange er sich so in den eigenen vier Wänden verhalten hat, weiß ich jetzt nicht mehr. Als nach drei Jahren bei uns mein Ex zu meinem Ex wurde, war das für Axel aber offensichtlich nicht weiter schlimm, ich habe ihm völlig gereicht. In der Tiefe allerdings ist die Verlustangst geblieben und hat sich immer wieder einmal sehr eindrücklich gezeigt. Ich weiß aber auch nicht, wie sehr Axel schon immer ein Ein-Mann-Hund war, oder ob erst die Tierheimsituation Ansätze dazu bei ihm in dieser Richtung ausgeprägt hat.

Da Molly keine traumatische Übergangszeit hatte wie Axel damals leider und auch noch sehr jung ist, könnte ich mir schon vorstellen, dass sie mögliche Verlustängste ziemlich gut abbauen wird.

Liebe Grüße
Antje mit Luzie (die so gar kein Ein-Mann-Hund ist ... was für eine Umgewöhnung!)

Freddy

Re: Hunde leben nur in der Gegenwart ??

Beitrag von Freddy » Do 1. Sep 2011, 14:38

Hallo zusammen,
JuRe hat geschrieben:Meine Überlegung ginge dann schon eher in Richtung "Motivation" : extrinsisch oder intrinsisch motiviert, ist aber noch sehr vage meine Idee.


natürlich richten sich Hunde auch nach diesen Motivationen: Sie nehmen einerseits alle visuellen, akustischen und olfaktorischen Hinweise wahr, die z.B. auf eine bevorstehende Mahlzeit hindeuten.

Andererseits sind sie aber scheinbar nicht darauf angewiesen und benutzen auch "innere Uhren" um Zeiträume abzuschätzen.

Es gibt neue Erkenntnisse (siehe auch Kognitionswissenschaftlerin: A. Horowitz, 2009) die darauf hindeuten, dass auch Hunde neben anderen Tieren sehr wohl über einen Zeitsinn, bzw. einen „Schrittmacher“, ähnlich dem Menschen verfügen.

Die Steuerung erfolgt über den sogenannten "Zirkadenrhytmus" der vom Hypothalamus generiert wird (http://de.wikipedia.org/wiki/Hypothalamus). Der Hypothalamus wird wiederum vom „Nucleus suprachiasmaticus (SCN) der auch als „Masterclock“ bezeichnet werden kann, kontrolliert wird.

Das Ganze ist noch nicht zu 100% geklärt, aber es gilt als sehr wahrscheinlich das Hunde auch über einen solchen (bei Ratten wurde er bereits experimentell bewiesen) Zeitsinn verfügen.

Beeindruckender ist aber noch, dass man vermutet dass Hunde im Gegensatz zu uns Menschen noch über einen weiteren, nicht vollständig bekannten Mechanismus verfügen, der es ihnen ermöglicht Zeiträume abzuschätzen. Offenbar hat das Ganze mit Luft zu tun. Ja, Ihr habt richtig gelesen, mit Luft: Unsere räumliche Umgebung und deren subtile Veränderungen über den Tagesverlauf geben Auskunft über die Tageszeit.
Mikroströmungen welche z.B.die Wände hoch “kriechen“, vielleicht auch Gerüche geben den Hunden Informationen über die ungefähre Tageszeit, scheinbar haben sie dafür eine ganz besondere Antenne. Jedenfalls können sie diese ganz feinen Luftströmungen registrieren, die sich je nach Tageszeit unterschiedlich darstellen. Wie sie das machen wissen wir noch nicht, vielleicht spielen aber die Tasthaare eine Rolle dabei.

Neurowissenschaftler haben Experimente mit Hummeln gemacht. Sie waren in der Lage einen genau festgelegten Zeitintevall abzuwarten um an Zuckerwasser zu kommen. Sie messen die Zeit.

Warum sollten Hunde nicht auch so etwas können? Ich bin mir da ziemlich sicher...Beobachtungen die Hundehalter gemacht haben, sprechen ebenfalls dafür.
Man kann also wohl davon ausgehen das es mehrere innere Uhren gibt die sich gegenseitig beeinflussen und die auch von äußeren Einflüssen (z.B. Tag-Nacht Rhytmus) syncronisiert werden.

Mr. Spok würde sagen: „Faszinierend...“

Ich selber habe übrigens auch einen brauchbaren Zeitsinn. Jahrelang bin ich ohne Uhr unterwegs gewesen und konnte doch die Uhrzeit abschätzen. Manchmal auf die Minute genau, aber nie mit größeren Abweichungen als eine Viertelstunde...



LG
Freddy

Petra

Re: Hunde leben nur in der Gegenwart ??

Beitrag von Petra » Do 1. Sep 2011, 18:18

Freddy,

das ist ja sehr interessant und auch neu für mich, vielen Dank.
Ich stimme Mr. Spok zu - faszinierend !!

LG, Petra und co.

P.S. Da fällt mir schon wieder so ein anderes kompliziertes Verhaltensthema ein, aber das hebe ich mir noch auf ... :dog_wink

JuRe

Re: Hunde leben nur in der Gegenwart ??

Beitrag von JuRe » Do 1. Sep 2011, 19:03

Hallo Freddy,
bin zwar kein Trekki :dog_biggrin aber wirklich
"Faszinierend"
Spannend die immer weiterführenden Aspekte, die Du aufgreifst und beschreibst.

Mit gehts wie Petra,
Petra hat geschrieben:P.S. Da fällt mir schon wieder so ein anderes kompliziertes Verhaltensthema ein, aber das hebe ich mir noch auf ...
Machen wir doch einfach weiter. Manchmal kann man doch vom "Hölzchen aufs Stöckchen" kommen, auch ohne sich zu verzetteln.
Du hast mich neugierig gemacht Petra
LG Renate

Sparta

Re: Hunde leben nur in der Gegenwart ??

Beitrag von Sparta » Mi 14. Sep 2011, 17:22

Sicherlich lernt der Hund aufgrund vergangener Erfahrungen. Und das Gequietsche und Gezappel beim Träumen beobachte ich bei Jonatan auch regelmäßig. Das alles sind doch aber Dinge, die unbewusst ablaufen (wie beim Menschen häufig auch). Die Frage ist doch, ob sich der Hund dieser Vergangenheit bewusst ist, sie bewertet. "In der Vergangenheit leben" würde ja genau dieses bewusste Erinnern voraussetzen.

Ich bin ja nur Hobbypsychologe und in meiner Vorstellungswelt ist der Hund dazu nicht in der Lage - leider. Ich frage mich auch oft, was Jonatan wohl gerade denkt. Da muss man dann schon aufpassen, dass man seinem Tier nicht die eigene Erfahrungswelt überstülpt.

Aber letztendlich ist der Hund dieszbezüglich zu beneiden. Im Alter erinnert er sich nicht an die Zeit ohne Gebrechen. Ein durch einen Unfall gehandycapter Hund trauert nicht seiner Unversehrtheit nach. Er muss auch nicht wie der Mensch in einer subjektiv geschönten Vergangenheit leben; er kann das Hier und Jetzt in vollen Zügen genießen.

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